DONNERSTAG, 30. DEZEMBER 2004

Wir stehen relativ spät auf und gehen den Tag wieder sehr gemütlich an. Bis Ansgar meint, dass wir vielleicht doch möglichst bald losfahren sollten, bevor der Sand in der Mittagshitze zu weiche wird. Der schwierigste Teil der heutigen Strecke von Krone nach Gai-As und Klein Gai-As wird vermutlich die Ausfahrt aus dem Revier des Huab sein. Dort könnte es sehr sandig sein und das letzte Mal, als Heike und Ansgar diese Strecke während ihrer Flitter-Safari gefahren sind, waren sie genau dort stecken geblieben und während die im 7. Monat schwangere Heike auf der Rückbank geschlafen hatte, hatte Ansgar zwei Stunden buddeln müssen, bis das Auto wieder frei war.
Also packen wir einen Gang schneller. Unter einem der Steine, die die Folie, die Heike und Ansgar die beiden letzten Nächte unter ihrer Luftmatratze gelegt hatten, beschwerten, findet Ansgar einen kleinen, hellen und ziemlich angriffslustigen Skorpion. (Es stimmt also tatsächlich, dass Skorpione am liebsten unter flachen Steinen sitzen!). Zum Glück reagiert Ansgar schnell genug und der Skorpion hat keine Chance, ihn zu stechen sondern wird von Ansgar und mir mit der Waschschüssel eingefangen und weit genug weg wieder frei gelassen.
 

Das Flussbett des
ephemeren Huabs

Um kurz vor 10:00 Uhr brechen wir auf. Wir fahren hinunter zum Huab und in das Revier hinein. Hier halten wir erst mal an um ein wenig Feuerholz einzusammeln, denn in Klein Gai-As, wo wir heute nacht übernachten werden, wird es kaum Holz geben. Hier im Huab-Revier hat das letzte Abkommen des Flusses genug Holz hinterlassen; allerdings ist das meiste davon so trocken, dass es vermutlich wie Zunder innerhalb weniger Minuten verbrennen und dabei kaum Hitze liefern wird. Also sammeln wir ziemlich viel Holz ein und verladen es auf dem Dach von Roda.

An einem großen Baum
im Flussbett hat sich
beim letzten Abkommen
des Flusses viel Holz gesammelt.

Jetzt gilt es, aus dem Revier wieder heraus zu kommen. Aber wir haben Glück und finden fast sofort eine Stelle, an er wir problemlos die Uferböschung hoch kommen. Später soll sich dann allerdings herausstellen, dass es durchaus einen Grund dafür gibt, warum die Ausfahrt so viel einfach war, als das letzte Mal, als Heike und Ansgar hier unterwegs waren...

Wir fahren jetzt Richtung Ost-Süd-Ost, eine flache Ebene hoch. Der Track ist zwar gut zu sehen, wird aber sicher nicht sehr oft befahren. Wir sehen Oryx-Antilopen und Springböcke und einen der absolut bizarren Elefantenbäume, die in der Tat wie ein auf dem Rücken liegender und die Beine in den Himmel reckender Elefant aussehen.
Langsam geht die steinige Ebene in eine Grasfläche über. Mir ist nicht ganz klar, warum hier an einigen Stellen Gras wächst und einige hundert Meter weiter nicht. Liegt das an wirklich extrem lokalen Regenereignissen? Oder daran, dass diese Grasflächen unterhalb einiger kleiner Berge liegen und das Wasser von den Bergen diese “Wiese“ tränkt?

Kaum zu glauben, daß man hier überall mit dem Auto lang fahren kann:

Auf der Grasfläche sehen wir jetzt auch einzelne Straußen  und immer wieder Oryxe und Springböcke.
Am Ende der Ebene müssen wir einen steinigen aber niedrigen Bergrücken überwinden, aber im Vergleich zu dem Felsrücken über den wir auf dem Weg nach Krone gefahren sind, ist dies hier für Roda und uns ein Kinderspiel! Weiter geht es über eine steinige Ebene. Wir fahren immer noch Richtung Ost-Süd-Ost und die nächsten 1 ½ Stunden wechseln sich steinige, sandige und grasbewachsene Ebenen immer wieder ab und werden gleichermaßen oft von flachen Steinrücken und kleinen sandigen Revieren, die es zu überwinden, bzw. durchqueren gilt, unterbrochen. Der Pad, auf dem wir fahren, ist überall relativ gut zu erkennen, und wir brauchen keine Angst zu haben, ihn zu verlieren. Die Landschaft, die uns umgibt ist bizarr, faszinierend und natürlich menschenleer.
 

Eine Welwechia-FRAU
 
Ein Welwechia-MANN
 

Wir passieren ganze „Plantagen“ von Welwechia Mirabilis-Pflanzen (Pflanzen, die es nur hier in dieser extrem trockenen Gegend gibt, deren Wurzeln zig Meter tief in den Boden hinein reichen und die bis zu mehreren tausend Jahren alt werden können), einige Talerbäume, deren Blätter wirklich wie Münzen aussehen und entdecken auf unserem Pad eine recht frische Spur, die entweder von einem Leoparden oder sogar von einem Löwen stammt. Nur die dazugehörige Großkatze sehen wir nicht.
 

Buschmänner haben hier
vor Ewigkeiten Tiere
in den Fels geritzt.
An einer Stelle macht Ansgar, der die Gegend ja aus der Zeit seiner geologischen Forschungen kennt, uns auf einen quer zum Pad liegenden und an einer Seite vollkommen abgeflachten Stein aufmerksam: Vor vermutlich Tausenden von Jahren haben die Buschleute hier zwei Zebras und eine Giraffe in den Stein gemeißelt und diese drei Tiere sind auch heute noch perfekt zu erkennen.

Einer der merkwürdig
aussehenden Elefanten-Bäume

Ich bin mir sicher, dass nicht viele Menschen von diesem Stein wissen, oder ihn schon gesehen haben – er liegt einfach zu weit im Nichts!

An einer anderen Stelle stellt der Roda wieder die Kraft seines Motors eindrucksvoll unter Beweis: Nach der Durchquerung eines weiteren kleinen Reviers geht die Uferböschung auf der einem guten Meter Strecke in einem 45°-Grad-Winkel nach oben. Das ist eine Steigung von 50 %! Wir halten vorher kurz an und fragen uns, ob Roda das wohl schaffen wird, aber er beantwortet die Frage, in dem er die Steigung im Leerlauf nimmt!!!

Und so schaukeln wir weiter und weiter durch diese faszinierende Landschaft: Über Ebenen und Steinrücken, durch Reviere und über Grasflächen.

Wir fahren weiter Richtung Osten, bis wir gegen Mittag an einem Abzweig ankommen. Wir biegen auf den rechten der beiden Wege, der sich kurz darauf ein zweites Mal teilt. Jetzt entscheiden wir uns für den linken Abzweig, fahren einen kleinen Abhang hinunter und stehen auf einer Geröllhalde, auf der der Pad nicht mehr zu sehen ist. Wir suchen uns einen eigenen / neuen Weg und kommen so an das Revier, das diese Ebene durchquert. Wir durchqueren es, bleibe dabei aber fast im Sand stecken. Nachdem wir auf der anderen Seite des Reviers ein paar Meter weit gefahren sind, auf einen Pad und vermuten, dass das der Pad ist, der bei der ersten Abzweigung nach links geführt hatte. Ansgar, der bisher ganz souverän navigiert hat, wird langsam etwas unsicher, ob wir hier auf dem Weg, den er für uns gedacht hatte, sind.
Heike holt das GPS-Gerät hervor und schaltet es ein.
Die Koordinaten, die wir wenig später geliefert bekommen, verwirren uns alle komplett: Wir befinden uns auf 20°40’00’’ südlicher Breite und 14°16’00’’ östlicher Länge und wenn wir das mit der Karte vergleichen, dann sind wir überhaupt nicht dort, wo wir sein sollten / wollten, sondern viel zu weit nördlich und vor allem viel zu weit östlich. Theoretisch hätten wir jetzt bei ca. 20°38’00’’ südlicher Breite und 14°08’00’’ östlicher Länge sein sollen. In Kilometer umgerechnet entspricht das einer Differenz von ca. 7 oder 8 km, und das ist in dieser Gegend mit dem schlechten Untergrund, auf dem man in einer Stunde oft kaum mehr als 5 km zurück legen kann, schon eine Menge !
Heike und ich sind etwas ratlos und Ansgar schweigt sich zunächst einmal aus. Irgend etwas muß schief gegangen sein...

Wir fahren zurück zu der ersten der beiden Abzweigungen, nehmen noch einmal den rechten Track, biegen dann aber auch an der zweiten Weggabelung nach rechts ab. Aber auch hier kommen wir nicht weit – nach weniger als einem Kilometer stehen wir sozusagen am Ende eines kleinen Tals, aus dem es für Autos ganz offensichtlich keinen Ausweg gibt. Also fahren wir erneut zurück und beratschlagen.
 
Irgendwo hier endet unsere Orientierung!

Langsam wird Heike und mir klar, dass Ansgar eigentlich schon vor einer ganzen Zeit hätte nach Süden abbiegen wollen, aber keinen passenden Track gefunden hatte. Jetzt ist die Frage, ob und wie weit wir zurück fahren wollen oder ob wir den Track, auf dem wir bis eben unterwegs waren, weiter folgen und so das komplette südlich von uns liegende Bergmassiv umrunden, statt durchfahren sollen. Da sich aber keiner von uns erinnern kann, in letzter Zeit einen Abzweig nach Süden gesehen zu haben, haben wir die Befürchtung, dass wir möglicherweise schon gleich zu Anfang – nämlich bei der Ausfahrt aus dem Huab – etwas falsch gemacht haben. Und bis dort hin zurück zu fahren, würde sicher drei Stunden dauern...

Ich bin über unsere derzeitige Position ehrlich gesagt etwas geschockt. Später wird mir (mit Hilfe einer detaillierten Erklärung von Ansgar und vielen genau so detaillierten Karten) allerdings klar, dass ich von vornherein von komplett falschen Gegebenheiten ausgegangen war:
 
 
A:Der Weg, den wir gefahren sind.

B:Der Weg, den wir hätten fahren wollen.

C:Der Weg, von dem ich dachte, dass wir ihn hätten fahren wollen.
 

In sofern finde ich unser Verfahren viel „dramatischer“, als es eigentlich ist.
Aber – wie gesagt – das erfahre ich erst später durch einen Blick auf die Karte.

Zunächst einmal gehe ich noch davon aus, dass wir den ganzen Tag lang komplett in die falsche Richtung gefahren sind und finde das entsprechend schlimm und unbegreiflich – vor allem, wo Ansgar sich in dieser Gegend doch eigentlich so gut auskennen müßte...
Außerdem kann ich nicht ganz nachvollziehen, warum Ansgar zwar schon seit Stunden gemerkt hat, dass der Weg, auf dem wir fahren, nicht so ganz in die von ihm angestrebte Richtung führt, er aber weder mit uns darüber gesprochen hat, noch zwischendurch mal das GPS konsultiert hat, um seine Zweifel zu überprüfen...
Auch Heike findet dieses Verhalten von Ansgar nicht gerade löblich...

Daher plädiere ich auch dafür, keine weiteren Experimente einzugehen, sondern den angefangenen (Um)Weg jetzt auch zu Ende zu fahren und dann eben von der falschen Seite kommend in Klein Gai-As zu landen.
Heike stimmt mir dazu zu und so können wir Ansgar schließlich dazu bringen, nicht weiter nach dem Weg nach Süden zu suchen, sondern einfach dem (Um)Weg zu folgen.

Und so fahren wir dann noch ein gutes Stück weiter Richtung Osten und schließlich sogar ein wenig gen Norden, bevor der Pad einen scharfen Bogen nach Süden macht.
Kurz darauf trifft unser Pad mit dem aus dem Norden von Twyfelfontein kommenden Pad zusammen und ca. ½ Stunde später treffen wir auf den in Ost-West-Richtung verlaufenden Pad, der nach Klein Gai-As führt und auf den wir in jedem Fall hätten stoßen wollen.

Ich kann nicht einschätzen, wie viele km der Umweg jetzt ausgemacht hat, aber bei der Langsamkeit, mit der wir uns in diesem Gelände fortbewegen, ist klar, dass wir etliche Stunden länger unterwegs waren, als geplant. Vor allem für Daan ist das natürlich nicht gerade lustig, aber er ist heute genau so tapfer wie schon die letzten drei Wochen und fängt selbst bei sechs Stunden Autofahrt nicht an zu murren.
Andererseits mache ich mir aber auch klar, dass dieses Rumgefahre zur Zeit seine Normalität darstellt. Er kennt es nicht anders und geht vermutlich davon aus, dass jedes knapp zwei-jährige Kind jeden Tag stundenlang in einem Auto sitzt und bei 40° C durch die Wüste geschaukelt wird. Warum sollte er sich darüber also beschweren?
 

Endlich wieder in der Zivilisation!!!

An der Stelle, an der unser von Twyfelfontein kommende Pad mit dem Ost-West-Pad zusammen trifft, treffen wir auch wieder auf Menschen: Vier oder fünf 4-by-4-Fahrzeuge sind hier gemeinsam „auf Pad“. Etwas später treffen wir noch zwei weitere Landrover – einen davon sogar mit Anhänger, auf dem zwei Kinder mitfahren. Ganz offensichtlich sind wir hier wieder in einer belebteren Gegend und in dem immer beliebter werdenden Off-Road-Terrain angekommen.

Wir haben jetzt bis nach Klein Gai-As immer noch eine knappe Stunde zu fahren. Die Landschaft auf dieser Seite des Berges ist wenig spannend. Eine Weile fahren wir noch nördlich an Doro’s Krater entlang, dann aber fahren wir fast die ganze Zeit lang über eine riesige, flache, steinige Ebene. Außerdem sind hier so viele Autos unterwegs, dass ein Großteil der Pad mit einem nervigen, alles durchschüttelnden Wellblechmuster bedeckt ist. Last but not least hat einer der Hinterreifen ein kleines Loch und wir müssen zwischendurch anhalten und aufpumpen.
 

Die Oase von Klein Gai-As
endlich angekommen
Der Ausblick belohnt!

Schließlich erreichen wir Klein Gai-As.
Es ist nicht mehr als eine kleine ca. 200 m x 200 m große Senke, in der es ein paar Büsche und zwei große Kameldornbäume gibt. Angeblich soll es hier zeitweise eine Quelle geben, aber so genau weiß das keiner.
 

Ansgar
Corinna
Daan
Heike

Wir parken Roda, fahren als erstes das Sonnendach aus und während Ansgar den kaputten Reifen wechselt, fangen Heike und ich sofort mit den Abendessensvorbereitungen an, denn wir haben keine Mittagspause gemacht und sind alle schrecklich hungrig. Hätten wir vorher gewußt, dass unsere heutige Tour nicht 1 ½, sondern 6 Stunden dauern würde, hätte wir garantiert eine Pause eingeplant.
Ein weiterer Landrover fährt in die Oase von Klein Gai-As ein. Am Steuer sitzt ein allein reisender Fotograf, der mit jeder Menge Benzin und Wasser ausgestattet auf dem Weg in den Huab ist, wo er ca. drei Wochen bleiben und fotografieren will.
Seine einzige Landkarte ist allerdings ein sehr grobmaßstäbiges Satellitenbild, auf dem nur einige wenige größere Straßen eingezeichnet sind.
Wie er hier her gekommen ist, ist und ein Rätsel und wie er mit dieser Karte den Weg zum Huab finden will, erst recht...
Gerade vorhin noch hatte uns der Fahrer einer der beiden uns entgegen kommenden Landrover erzählt, dass erst letztes Jahr ein holländisches Paar auf der Strecke, die wir gerade gefahren waren, verdurstet ist. Sie hatten die Orientierung verloren, keine guten Karten oder ein GPS und zu wenig Wasser und Benzin dabei gehabt... Erst nach zwei Wochen waren sie gefunden worden – da war bereits alles zu spät.
Ich finde, die Pläne des waghalsigen Fotografen klingen ziemlich riskant – aber er muß selbst wissen, was er da tut...

Zum Abendessen gibt es Reis mit Baked Beans – eine zugegeben leicht sonderbare Kombination, die auf einen Fehlkauf von Ansgar zurück zu führen ist, aber erstaunlich gut schmeckt – und super leckeren Weißkohlsalat.
Nach dem Essen machen wir noch einen kleinen Spaziergang durch die südlichen „Ausläufer“ der Oase und entdecken dabei tatsächlich die Quelle von Klein Gai-As!
Hydrogeologisch und auch sonst hoch interessant tritt das Wasser hier direkt aus dem Fels aus; und zwar dort, wo die oben liegende poröse Steinschicht zu Ende ist und die wasserundurchlässig(er)e untere Schicht beginnt. Das Wasser fließt hier nicht wirklich aus dem Stein, aber die Decke der kleinen Höhle, die sich hier gebildet hat, ist feucht und einzelne Tropfen fallen auf den nach feuchter Muttererde riechenden Boden.
 

die Quelle von...
... Klein Gai-As
Ein vulkanischer Schlot
eine Aloe-Pflanze
wunderschönes Bild!!!

Dann findet Ansgar noch weitere „spannende Geologie zum Anfassen“: Einen ca. 4 m breiten vulkanischen Schlot! Rechts und links dieses Ganges ist das Gestein durch die seinerzeit mit Hochdruck nach oben strebende Lava senkrecht zerkratzt und in der Mitte des Ganges liegt noch ein großer Haufen schwarzen Granits: Die erkaltete Lava!
So anfaß- und nachvollziehbar aufgeschlossen findet man die Geologie der Erde sicher nur an ganz wenigen Stellen!

Heike, Ansgar und Daan liegen schon vor 21:00 Uhr in ihren Betten; ich schreibe erst noch eine Weile, bevor auch ich mich hinlege.

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