Daan hat in der Nacht eine ganze Weile lauthals
schreien müssen und als ich aufwache ahne ich den Grund, denn auch
mein Bauch tut weh – ich glaube, die Zwiebeln gestern hätten trotz
des Drängens von Heike und Daan etwas länger angebraten werden
können. Bei mir hilft da ein schneller Gang zur Toilette, aber Daan
kapiert solche Zusammenhänge ganz sicher noch nicht und brüllt
daher erst mal eine große Runde.
Gegen 6:30 Uhr stehen wir auf.
Da wir heute unsere letzte Nacht bei Robin
gewesen sind und Heike und Ansgar erst im Februar wieder in Klein Dobe
sein werden, müssen wir heute alles einpacken, was wir hier gelagert
haben. Ansgar füllt 60 Liter Benzin aus dem Faß, dass wir aus
Grootfontein mitgebracht haben in den Tank des Rodas und weitere 60 Liter
in drei der Jerry Cans (Blechkanister), die er auf dem Dach festbindet.
Ich fülle 3 x 25 Liter Wasser in unsere
großen weißen Trinkkanister, baue die Zelte ab, spüle
das Geschirr und helfe Heike und Ansgar dabei, das Auto zu beladen. Damit
wir vor dem Aufbruch alle noch einmal Duschen können, müssen
Robin und Ansgar kurz losfahren und die Dieselpumpe anstellen, denn wir
haben den kompletten Wasserspeicher von Klein Dobe aufgebraucht.
Gegen 10:00 Uhr sind wir fertig und startklar.
Robin hatte uns schon angekündigt, dass Slange und Kal heute noch
einmal, und jetzt mit ihren Frauen zusammen, nach Tsumkwe wollen und darauf
hoffen, von uns mitgenommen zu werden.
Eigentlich ist unser Auto schon sehr gut
gefüllt, aber die Buschmänner sind so klein und zierlich, dass
wir die beiden Frauen mitsamt ihres Gepäcks und ein kleines Kind auf
dem Vordersitz unterbringen, während Slange, Kal und noch ein weiterer
Buschmann auf dem Dach platz nehmen.
Alle Buschmänner und –frauen, die wir
jetzt mitnehmen, werden heute nacht in Tsumkwe übernachten, wo Slange
und Kal morgen von Robin abgeholt werden, um mit ihm auf eine zwei- oder
dreitägige Tour auf der Suche nach Wildhunden und ihren Spuren gehen
werden.
Vorsichtig fahren wir über den holprigen
Pad nach Tsumkwe.
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Auf dem Weg dort hinhalten wir in De¹ua
[Übersetzt: Deng-we], wo Heike unter den wachsamen Augen sämtlicher
Dorfbewohner eine Wasserprobe nimmt und analysiert. Hatte sie vor zwei
und vor vier Jahren immer nur die Leitfähigkeit und den PH-Wert des
Wassers getestet und es (meistens durch mich) einem Geschmackstest unterzogen,
und alle anderen Tests dem Labor überlassen, sind inzwischen noch
einige andere Messungen dazu gekommen. Heike mißt jetzt nicht nur
die Temperatur der eben genommenen Probe, sondern auch den Chlorid- und
den Sulfat-Gehalt des Wassers. Das muß für die ihr dabei regelmäßig
über die Schultern guckenden Buschmänner schon ziemlich spannend
sein (ist es für mich, ehrlich gesagt, auch!), denn vor allem bei
dem Chloridtest muß eine kleine Menge des Wassers erst lila, dann
gelb und schließlich wieder lila werden! Das sieht schon nach Zauberei
aus!
Gerade hier in De¹ua
haben wir besonders viele und aufmerksame Zuschauer, was allerdings auch
daran liegen mag, dass Heike auf Englisch erklärt, was sie macht und
Slange es für die umstehenden Buschleute übersetzt!
Unser nächstes Ziel ist Tsumkwe, wo
wir Brot, Kartoffeln, Dosenthunfisch und zwei Telefonkarten kaufen. Mit
einer der beiden Karten rufe ich zu Hause an, um Bescheid zu sagen, dass
wir in nächsten drei bis vier Tage – und damit auch über Weihnachten
– im tiefen Busch des Nyae Nyae Conservancies und damit telefonisch auf
keinen Fall erreichbar sein werden.
Ich spreche mit Papi, der mir erzählt,
dass es in Hamburg gerade kräftig schneit! Bei ca. 36° C im Schatten
fällt mir die Vorstellung von Schnee schwer!
Vor Self Help – neben Savanna II – dem einzigen Lebensmittelladen Tsumkwes, in dem übrigens auch der winziges Postschalter und eine Art Bar untergebracht sind, treffen wir noch auf einen der Angestellten des Nyae Nyae Conservancies. Eigentlich hat das gesamte Office über die Feiertage geschlossen, er aber ist sozusagen auf „stand by“ und bietet (sich) an, mit uns in das Conservancy zu fahren. Allerdings nur, wenn wir auch seine Frau und sein Kind mit „auf Pad“ nehmen würden. „Denn,“ so meint er, „weil ich ja auf stand by bin, bin ich ja für euch verantwortlich!“ Er meint es wirklich gut, bedenkt dabei aber nicht, dass, wenn er mit uns drei Tage ins Gelände fahren würde, in dieser Zeit ja auch noch andere Touristen mit dem gleichen Gedanken nach Tsumkwe kommen können und dann nicht mal mehr der stand by-Mensch da wäre!
Wir verlassen Tsumkwe, fahren kurz auf die
Straße Richtung Grootfontein und biegen dann links in das Conservancy
ein.
Wir müssen gar nicht lange fahren,
bis wir unser nächstes Etappenziel des heutigen Tages erreichen: Das
Dorf Den/ui.
Kaum haben wir das Auto angehalten, sind
wir sofort von einer ganzen Schar Kinder umringt, die sich neugierig näher
quetschen. Und hier sind die Kinder besonders neugierig: Sie stehen direkt
am Auto, starren das blonde Riesenbaby, das wir dabei haben, an, debattieren
lautstark miteinander und fordert Daan mit Handbewegungen auf, aus dem
Auto zu kommen, wozu Daan aber zu schüchtern ist.
Während ich im Auto sitzen bleibe und
mir die Buschmänner angucke, muß ich über die T-Shirts,
die sie tragen schmunzeln: Hatte ein Mädchen in De¹ua
schon ein Titanic-T-Shirt getragen, steht jetzt ein Junge in einem Toronto-Jay-Hawks-T-Shirt
vor mir! Ob der Weg der Kleidersammlungen der „1. Welt“ wirklich direkt
hier her führt? Es scheint fast so!
Als Heike und Ansgar mit Daan los gegangen sind, um die Wasserprobe zu nehmen und ich weiterhin im Auto sitzen bleibe, erlebe ich meine nächste Überraschung: Aus einer der Hütten des dicht neben dem Pad liegenden Dorfes ertönt plötzlich Musik: I Believe In Miracles erkenne ich den Song – und vor der Hütte steht ein junges Mädchen und tanzt dazu! Und das mitten in der Kalahari!!!
Vorhin in Tsumkwe im Self Help hatte ich auch schon schmunzeln müssen, als das dort laufende Radio plötzlich Rudolf, The Red Nosed Raindeer und dann Santa Claus Is Coming To Town gespielt hatte!
Heike und Ansgar haben die Wasserprobe, die Buschkinder sind immer noch von Daan fasziniert und es gießt gerade wie aus Kübeln. Wir fahren weiter.
Unser nächstes Ziel ist ein Buschmanndorf
mit dem schönen Namen N¹aqantjoha
[Übersetzt: Nam-tsoha]. Bevor wir dort aber ankommen, sehen wir den
ersten Elefanten dieser Reise! Ein großer Bulle – allerdings noch
mit recht kleinen Stoßzähnen – steht ca. 150 m von uns entfernt
in den Büschen. Er bemerkt uns sofort (was bei der Lautstärke
des Roda-Motors auch wirklich kein Wunder ist). Da wir uns aber beide –
der Elefant und wir – an die Regel, „Tust du mir nichts, tue ich dir auch
nichts!“ halten, dürfen wir in unserem gebührenden Abstand und
mit gleichmäßiger Geschwindigkeit passieren. Der Elefant hebt
zwar einmal seinen Rüssel (das 1. Warnsignal) und stößt
ein kurzes Tööröö (das 2. Warnsignal) aus, aber das
ist, glaube ich, weniger als Drohgebärde, als mehr als „Achtung! Jetzt
aber bitte nicht noch näher kommen!“ zu verstehen.
Und den nötigen Respekt haben wir allemal!
Wenig später erreichen wir N¹aqantjoha.
Wieder werden wir sofort von einer Schar Dorfbewohner, vor allem natürlich
Kinder, umringt. Hier verstehen die Kinder sogar ein klein wenig Englisch
und sind dadurch gleich viel weniger Scheu. Sechs oder sieben von ihnen
kommen mit uns zur Pumpe, lächeln und lachen uns an und brechen in
schallendes Gelächter aus, als ich das Geräusch eines Jungen,
der gerade niesen mußte, nachmache.
Nachdem wir in Den/ui schon ein kleines
Mädchen mit deutlich hellerem, fast goldenem Haar gesehen hatten,
ist hier ein Mädchen mit deutlich längeren schwarzen Haaren,
als die bei den Buschmännern und –frauen sonst üblichen Haarknötchen.
Wer sich da wohl – im wahrsten Sinne des Wortes – eingemischt hat?!?
Wir holen unsere Wasserprobe und analysieren
sie. Jetzt wollen wir nur noch wissen, wie das Dorf genau heißt.
In unserer Karte stehen zwar die Namen der meisten Dörfer drin, aber
erstens kann man ja nicht unbedingt sicher, sein, dass alles, was in der
Karte steht, auch wirklich stimmt und zweitens stehen die Namen dort auch
nur übersetzt (also ohne Klacklaute) drin und es macht schon Spaß,
die einheimischen und ursprünglichen Klick-Namen der Dörfer zu
kennen. Wir bitten die Kinder, die uns vorher schon gesagt hatten, dass
einigen von ihnen immerhin schon im dritten Schuljahr sind, uns den Namen
ihres Dorfes aufzuschreiben, aber keines der Kinder traut sich, den angebotenen
Stift zu nehmen und den Namen des Dorfes in Heikes Buch zu schreiben.
Erst ein hinzugerufener älterer Buschmann
traut sich schließlich.
Wir fahren weiter in Richtung Xae-sca, einer
Wasserstelle ganz am südlichen Rand des Nyae Nyae Conservancies, wo
wir heute vermutlich auch übernachten werden.
Auf dem Weg dorthin sehen wir gleich noch
zwei mal Elefanten! Zuerst eine kleine Herde, die aber zwischen hohen Bäumen
steht und so weit weg ist, dass man nicht mal erkennen kann, wie viele
Tiere es eigentlich sind. (Ich meine, auf die Entfernung drei oder viere
Tiere zählen zu können). Dann sehen wir in einer kleinen Pfanne
noch einmal einen einzelnen Elefanten, aber auch er ist so weit weg, dass
wir keine wirkliche Rücksicht auf ihn nehmen müssen.
Und eine Herde Red Hartlebeests (vielleicht
auch Tsetse-Beest) zieht auch vor unseren Augen vorbei.
Dieses Rad läßt die Pumpe irgendwie wie eine die Räder einer alten Dampflokomotive aussehen! Netterweise läßt sich die Pumpe sofort in Betrieb setzen und spendet schönes klares Wasser, von dem Heike ihre Probe nehmen kann. Und das, obwohl Heike diese Pumpe – die in N-gua steht – in ihrer Karte als „nicht mehr funktionierend“, bzw. „nicht mehr existent“ vermerkt hatte.
Weiter geht’s Richtung Xae-sca, das wir nach
ca. ½ Stunde Fahrt erreichen.
Hier im Süden des Nyae Nyae Conservancies
ist der Boden eher schroff und steinig und die Vegetation ist dementsprechend
karg.
Xae-sca ist eine künstliche Wasserstelle
für die Tiere (im Gegensatz zu denen für Menschen angelegten
Wasserstellen, die sich ja meist in der Nähe der Buschmanndörfer
befinden). In der Nähe der Wasserstelle hat Raleigh International
einen sehr solide aussehenden Ausguck gebaut. Trotzdem wirkt die Gegen
hier ziemlich trostlos. Hier wollen wir übernachten? Und vor allem:
Hier wollen wir vor dem Übernachten einen gemütlichen Nachmittag
und Abend verbringen – es ist doch erst 15:30 Uhr! I don’t think so...
Aber in erster Linie sind wir ja hier, damit
Heike ihre Wasserprobe nehmen kann. Eine erste Inspektion der Pumpe sieht
allerdings wenig vielversprechend aus: Das Solardach, das einmal die Pumpe
angetrieben hatte, gibt es nicht mehr; statt dessen steht hier jetzt eine
Dieselpumpe, die zwar relativ fit aussieht, der aber die Anlaßkurbel
fehlt. Und laufen tut sie natürlich auch nicht.
Aber Ansgar kennt sich ja (unfreiwilligerweise!)
nicht nur mit Rodas, sondern auch mit Pumpen aus und bringt die Pumpe zum
Laufen, in dem er den Keilriemen einfach mit viel Kraft und Schwung anzieht!
Klever!
Nachdem unsere „Arbeit“ hier getan ist,
kommen wir aber doch ins Grübeln, ob das der richtige Ort für
unser Nachlager ist?
Der Boden rund um das Wasserloch, die Pumpe
und den Ausguck ist so steinig, dass man darauf unmöglich ein Zelt
aufbauen kann. Heike und Ansgars großes Zelt ließe sich vielleicht
gerade noch auf dem geräumigen Ausguck aufbauen und ich müßte
dann mal gucken, ob und wo da noch Platz für mein kleines Zelt wäre
oder mich mit in das große Zelt legen. Dazu kommt, dass die ganze
Gegend nicht wirklich einladend ist: Überall nur Felsen und Steine
und eine elende, vollkommen schattenlose Hitze. Dass am Horizont mal wieder
dunkler schwarze Wolken lauern, macht die Atmosphäre nicht unbedingt
heimlicher...
Also beschließen wir, weiter zu fahren und an einer der beiden Stationen, die eigentlich erst für morgen vormittag eingeplant waren, zu übernachten. Entweder in, bzw. an der Khabi Pan oder gleich an der riesigen Nyae Nyae Pan, der größten Pfanne dieser Gegend, die dem Conservancy ja auch den Namen gegeben hat.
Uns unsere Entscheidung wird belohnt, denn
in den nächsten 1 ½ Stunden sehen wir so viele Tiere, wie in
den ganzen 10 Tagen zuvor nicht! Zuerst sehen wir in der Khabi Pan nur
ein einzelnes Gnu und einen einzelnen Strauß, aber schon bald bekommt
jedes der beiden Tiere von seinesgleichen Gesellschaft: Eine ganze Herde
Gnus galoppiert staubend aus dem Busch heraus und in die Pfannen hinein
und zwei männliche und zwei weibliche Straußen haben ganz offensichtlich
Frühlingsgefühle und jagen sich über die weite Ebene.
Wo immer wir fahren, schrecken Riesentrappen
vor uns auf, einige von ihnen erschrecken sich so sehr, dass sie sich in
die Lüfte schwingen und das tun Riesentrappen überhaupt nicht
gerne und nur wenn es gar nicht mehr anders geht, denn diese schönen,
großen, aber auch ziemlich plumpen Vögel, die mich durch die
Form ihres Schnabels und den komischen Federbausch auf dem Kopf irgendwie
an Flugsaurier erinnern, sind wirklich keine Flugkünstler!
Fast unbeachtet in dieser Fülle von
großen, wilden Tieren Afrikas bleiben gleich mehrere Herden Springböcke
und etliche weitere Gnus.
Im Licht der späten Nachmittagssonne
sehen wir weitere Gnus und – etwas später – eine Herde von über
50 Springböcken.
Hier ist ein wunderschöner Platz für
die Nacht! Wir richten uns häuslich ein und gucken der Sonne auf der
anderen Seite der Pfanne beim Untergehen zu.
Bevor es aber dunkel wird, machen Heike
und ich noch einen kurzes Spaziergang in die Pfanne hinein. Hier stand
nämlich bis vor kurzem ein Windrad, aber schon gleich, nachdem wir
die Pfanne erreicht hatten, hatten wir erkennen können, dass dieses
Windrad inzwischen nicht mehr existiert und abgebaut worden ist.
Das ist in sofern ärgerlich, als dass
Heike just an diesem Windrad einen ihrer Totalisatoren aufgehängt
hatte. Das sind ca. 1 m lange, schwarze Röhren, die oben offen sind
und einen Durchmesser von ca. 10 cm haben. In ihnen soll sich über
längere Zeit der in der Luft befindliche Staub sammeln, der für
Heike dann interessante Ergebnisse und Erkenntnisse bringen kann. Teilweise
läßt sie diese Totalisatoren, die sie in ihrem Forschungsgebiet
an mehreren Stellen aufgebaut hat, ein ganzes Jahr lang stehen.
Ärgerlicherweise hat wohl, als das
Windrad abgebaut wurde, keiner mehr daran gedacht, dass Heikes Totalisator
ja eigentlich hängen bleiben wollte. Jetzt liegt er zerschmettert
auf dem Boden und Heike ist – einmal mehr – sauer auf Dries, der ihr immer
wieder Zusagen macht, sich dann aber nicht daran hält.
Und während ich später in meinem
Zelt liege und schreibe (und nebenan auf dem Ausguck eine Eidechse und
eine Hummel sehr sonderbare Geräusche von sich geben)scheint der Mond
so hell, dass er selbst im Zelt ausreichend Licht macht und ich zum Schreiben
können keine Taschenlampe brauche!
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