SONNTAG, 19. DEZEMBER 2004

Heute wache ich sogar schon um 5:40 Uhr auf, bleibe aber noch liegen und nutze die Zeit zum Schreiben. Wir stehen alle früh auf, frühstücken Haferflocken mit aus Trockenmilchpulver hergestellter Milch und sind um kurz nach 7:00 Uhr abfahrbereit.
Aus der D 3312 (Tsumkwe è Sikereti) fahren wir nach Norden bis wir nach wenigen Kilometern an das Dorf //Xa!oba kommen. Hier soll es eine Handpumpe geben, die Heike beproben will. Die Buschleute schicken uns aber noch ein paar Kilometer weiter, bis ein großes weißes Metallschild den Weg zur Ivory Trail – Casa’s Hawkers – einer mitten im Busch liegenden She-been (so das Damarawort für Trinkhalle) ankündigt. Auf dem Weg dorthin fahren wir noch an einem verlassenen Buschmanndorf vorbei, wo ich ein paar Fotos von den Hütten und deren „Innenausstattung“ mache. Dann erreichen wir die Casa’s Hawkers, drei aus Stein gemauerte Häuser mit bunten Türen und Fensterrahmen. Ziemlich offensichtlich der nächste „Kietz“ der Buschleute! Welche Entfernzungen und Strapazen Buschleute auf sich nehmen, um ihr Ziel zu erreichen, weiß ich spätestens seit heute morgen, als Slange und Kal aufgebrochen waren, um zu Fuß zum Shoppen nach Tsumkwe zu gehen. Für die 23 km rechnen sie vier Stunden. Und sie werden auch heute noch wieder zurück kommen – also noch einmal 34 km und vier Stunden bei sengender Hitze. Man kann sich also vorstellen, daß die Tatsache, daß man vielleicht ein paar Stunden laufen muß, wenn man von dieser She-Been nach Hause will, kaum abschreckend wirken wird.
 
 

Eine typische Buschmann-Hütte

 
Das Innere einer Buschmann-Hütte. Hier scheint noch mal jemand wieder zu kommen...

Ein paar Meter weiter ist die Handpumpe, von der wir ohne Probleme Heikes Probe nehmen. Ein Buschmann mit einem 20-l-Kanister auf der Schulter kommt vorbei und weil ich gerade so schön am pumpen bin, pumpe ich für ihn gleich weiter, bis sein Kanister voll ist.

Dann fahren wir auf der D 3312 noch ein kleines Stück weiter gen Norden, biegen dann aber nach Westen und schließlich wieder nach Norden ab. Jetzt sind wir wirklich tief in der Walachei, aber hier soll es ein Hunter’s Camp und ein Buschmanndorf geben und an beiden soll es Wasserstellen, bzw. Pumpen oder Windräder geben. Zuerst fahren wir an das wunderschöne und romantisch gelegene Wasserloch des Hunter’s Camps. Hier steht ein riesiges Windrad, das sich, als wir ankommen, aber nicht dreht. Heike probiert, eine Kurbel und eine Ölpumpe am Fuß des Rades und letzteres ist von Erfolg gekrönt und das Rad beginnt, sich zu drehen. Jetzt kann Heike an dem in den kleinen See mündenden Überlaufrohr ihre Wasserprobe nehmen. Dummerweise tritt sie dabei volles Brett in den Matsch und muß ihre Kudulederschuhe gründlich vom Matsch befreien. Auch Daan braucht eine Wäsche – er hat mal wieder Durchfall.
Übrigens haben heute alle außer mir Probleme mit ihren Magen, bzw. der Verdauung... ob das Fleisch vielleicht wirklich nicht mehr so ganz astrein war?
 

Die Wasserstelle am "Hunter's Camp"
Der "Wind-Motor" pumpt das Wasser hoch
ein abgestorbener Baum

 
Heike ist in den Matsch getreten!

Ein einzelner Buschmann kommt an die Pumpe – vermutlich, weil er gesehen hat, daß plötzlich das Windrad läuft. Er spricht uns aber nicht an, sondern geht sehr bald wieder in die Richtung, aus der er gekommen ist, zurück.
Auf dem Rückweg würde Ansgar gerne noch einen schnellen Blick auf das Hunter’s Camp werden. Wir biegen ab und landen kurz darauf in einem kleinen Buschmanndorf, das sozusagen schon fast das Jagdcamp ist, denn dieses ist nur durch einen etwas festeren Holzbau, der an zwei Seiten mit Maschendraht verschlossen ist als ein Hunter’s Camp zu erkennen. Vor diesem Bau liegen die Unterkiefer von sieben Elefanten und die kompletten Schädel von drei weiteren Elefanten. Hinter dem Gatter liegen etliche Geweihe, das einer Elan-Antilope muß ganz frisch sein, denn es liegt noch in einer mega-eklig aussehenden Brühe, die das Fleisch von den Knochen ablösen soll.
 

Das Hunter's Camp: Hier sind definitiv viele Elefanten erlegt worden...
Eine kleine Pfanne mit einem schönen Baobab in der Nähe des Hunter's Camps

Ansonsten wird dem potentiellen Jäger hier keinerlei Komfort geboten. Ganz nach dem Motto walk & stalk muß der Jäger schon einige Strapazen auf sich nehmen, wenn er par tout meint, auf Großwildjagd gehen zu müssen!

Von dieser zweiten Wasserstelle aus fahren wir weiter Richtung Norden. Es dauert eine ganze Weile, bis wir praktisch am Ende der Straße zu einem weiteren Buschmanndorf kommen. Hier sind wir jetzt wirklich fast am Ende der Welt! Dieses Dorf liegt so weit von jeglicher Zivilisation entfernt, daß man davon ausgehen kann / muß, daß dieser Clan wirklich noch komplett autark lebt. Von hier bis nach Tsumkwe (und damit zum nächsten Lebensmittelladen) sind es sicher 50 oder 60 km – selbst für einen Buschmann viel zu weit für irgendwelche Einkäufe. Und ein Auto, von dem man sich mitnehmen lassen kann, fährt – wenn überhaupt... – auch erst auf der etliche Kilometer entfernten D 3312 vorbei.
Ich weiß nicht, ob diese Abgeschiedenheit der Grund dafür ist, aber kurz vor dem Dorf sind mehrere Felder extrem ordentlich und penibel durch einen aus Ästen gebauten Zaun abgesteckt. So ordentlich und organisiert habe ich das bei Buschleuten noch nie gesehen! Auch sehen wir beim Näherkommen, daß dieses Dorf Rinder besitzt – auch das ist für Buschleute eigentlich überhaupt nicht üblich. Viehzucht ist hier in der Gegend eine Errungenschaft der weiter im Norden lebenden Kavango und nur wenn ein Kavango in eine Buschmannfamilie eingeheiratet hat, kommt es manchmal vor, daß die Viehzucht auch bei den Buschmännern einzieht.
Wo dieses Dorf die Idee zur Rinderzucht her hatte, weiß keiner...
Wir fahren durch das Dorf durch und zur gut sichtbaren Windpumpe. Während Heike sich von drei kleinen Mädels die Pumpe anschmeißen läßt, steigt Daan auf Ansgars Arm aus dem Auto aus. Und sofort ist er die Riesenattraktion. Sicher kommt es schon ab und an (wenn auch selten) vor, daß Weiße in diesem abgelegenen Dorf landen. Aber ob es schon jemals welche gegeben hat, die ein knapp zweijähriges, hellhäutiges, weißblondes und im Vergleich zu den Buschmännern riesiges und ziemlich moppeliges Kleinkind dabei hatten? Mit ziemlicher Sicherheit, nicht!
 

Angst vor dem großen weißen Kind?!
Aber Lachen...
... geht...
... immer!

In den nächsten Minuten bestätigen sich die Erfahrungen, die ich vor zwei, bzw. vor vier Jahren schon mit den Buschleuten gemacht habe: Das Bestaunen und Anglotzen ist beidseitig und daher völlig fair und ausgeglichen. Wie wir so voreinander stehen und uns gegenseitig anglotzen, brauchen sich weder wir noch die Buschleute wie Tiere im Zoo zu fühlen.
Mit Hilfe von Gebärden frage ich, ob es OK ist, wenn ich Fotos mache. Fotos scheinen die Buschleute zu kennen, denn sofort rücken alle zu einer Art Gruppenbild zusammen und ich darf knipsen so viel ich will. Die Kinder scheinen sogar Spaß daran zu haben. Hätte ich doch nur daran gedacht, eine Polaroid-Kamera mitzunehmen – dann hätte ich etwas, das ich den Kindern hier lassen könnte...

Noch etwas fällt mir in diesem abgelegenen Dorf auf: Kein einziges Mal werden wir gefragt, ob wir Perlenketten oder –Armbänder, Pfeil und Bogen oder kleine, mit Straußeneierschalenperlen besetze Ledertaschen kaufen wollen. Auf die Idee, daß man vorbeifahrenden Weißen Souvenirs andrehen könnte, scheint hier noch niemand gekommen zu sein.
Einzig, ob wir Tabak dabei hätten, werden wir in dem in dem Dorf, in dem wir gerade sind, und von dem ich leider nie erfahre, wie es heißt, gefragt; aber auch das total unaufdringlich. Und es gibt auch keine bösen oder enttäuschten Gesichter, als wir diese Frage verneinen.

Nachdem Heike mit ihrer Wasserprobe fertig ist, setzen wir uns wieder in den Roda und fahren eine ganze Zeit lang den Weg, den wir gekommen sind, zurück, bis wir – mitten im Busch! – an einer großen, übersichtlichen Kreuzung, an der eigentlich fast nur eine Ampel oder eine 4-way-stop-Regelung fehlt, gen Osten abbiegen.
Nach relativ kurzer Zeit erreichen wir das nächste Buschmanndorf. Ihre Pumpe liegt ein wenig außerhalb. Wir bekommen den Weg beschrieben und fahren hin. Eine nicht laufende Dieselpumpe hinter einem massiven aber komplett niedergetrampelten Elefantenzaun erwartet uns.
Bevor wir uns aber noch Gedanken machen können, ob und wie wir diese Pumpe in Gang bringen können, kommen auch schon fünf kleine Buschjungs und fangen an, sich an der Pumpe zu schaffen zu machen. Aber so einfach scheint es nicht zu sein, die Pumpe zum Laufen zu bringen. Sie haben gleich von vornherein damit begonnen, den Keilriemen abzunehmen und mit dem Schraubenzieher eine Feinjustierung vorzunehmen, aber so lange sie auch schrauben und kurbeln, mehr als ein vielversprechend klingendes aber nichts bewirkendes puff-puff ist der Pumpe nicht zu entlocken.
Da helfen auch Ansgars Lederhandschuhe oder weitere aus dem Dorf kommende Männer und Jungs oder der schnell aus dem Dorf herbei geholte Dieselnachschub nichts. Schnell hat sich fast das ganze Dorf (also auch die Frauen und Mädchen) an der Pumpe eingefunden. Aber die Pumpe will einfach nicht...
 

Hier haben ganz eindeutige durstige Elefanten gewütet!
Viele helfen Hände bringen die Pumpe trotz allem nicht in Gang
Die Kinder verstecken sich dem Regen!

Es fängt mal wieder an zu regnen. Der typische „wenige, dicke, warme“-Tropfen-Regen, den wir in den letzten Tagen schon kennen gelernt haben und während der Dorfhund ein Bad in der Wasserwanne, die – wenn die Pumpe denn laufen würde – das Wasser aufnehmen sollte, nimmt, verstecken sich die Kinder lauthals lachend unter dem Regentrog. Auch hier ist die Stimmung total freundlich und locker. Schade nur, daß man mit den Buschleuten nicht kommunizieren kann....

Nach mehr als einer ½ Stunde geben wir den Versuch, die Pumpe in Gang zu bringen, schließlich auf. Vielmehr sagen wir den Buschjungs, daß sie ohne uns weitermachen müssen, denn die hat inzwischen der Ehrgeiz gepackt. Außerdem glaube ich, daß sie es eh weiter versuchen würden, denn schließlich ist auch das Dorf selbst von dem Funktionieren der Pumpe abhängig.
Wir werden auf dem Rückweg noch einmal hier vorbei kommen – vielleicht läuft die Pumpe ja dann und wir können die Wasserprobe doch noch bekommen....

Eine Wasserstelle haben wir noch auf unserem Tageszettel: Die Solarpumpe am Ende der Welt.
Das wir die Wasserstelle auf diesen Namen taufen werden, wissen wir aber erst, als wir sie erreichen. Wir fahren immer weiter nach Osten, wo wir uns langsam aber sicher auf die Botswanische Grenze zu bewegen. Ganz so weit kommen wir nicht, da uns plötzlich etwas den Weg versperrt, das wie eine riesige Betonmauer aussieht. Und wirklich: Es ist eine ca. 2 m hohe, ca. 60 cm starke und aus losen Steinen zusammengesetzte und festzementierte Mauer. In der Mitte des Mauerkreises, der einen Durchmesser von ca. 10 m hat, steht eine nagelneue Solarpumpe! Die Mauer hat an einer Seite einen Durchgang, der aber so eng und so verwinkelt ist, daß vermutlich nicht mal eine kleine Antilope hier durch kommen würde. Eine wirklich beeindruckende Konstruktion! (Und vermutlich eine der wenigen, die auch wirklich mal Elefanten-sicher ist!)
Wenige Meter weiter ist die Wasserstelle, die von der Pumpe gespeist wird. Auf einer kleinen Erkundungstour entdecken wir etwas ziemlich ekelhaftes: In ca. 3 m Höhe hängen in einem Baum ganz in der Nähe der Wasserstelle die Kadaver zweier ziemlich bös verwester Antilopen. Bäh! Ansgar klart mich auf, daß das vermutlich eine Anlockfalle für Leoparden sein soll!
Naja, in einer Welt, in der noch gejagt wird, darf man auch nicht zimperlich sein...
 

Die Pumpe am Ende der Welt - extrem Elefantensicher
Eine verwesende Antilope im Baum soll Leoparden anlocken...

Heike nimmt und analysiert ihre Wasserprobe, wir machen eine kurze Mittagspause (Schwarzbrot mit Sandwich-Spread) und fahren dann zurück.

Wir halten kurz an einem durch einen Blitzschlag von innen vollkommen ausgebrannten und verkohlten Baobab, dessen beeindruckendes Gerippe wirklich gespenstisch aber gleichzeitig sehr cool aussieht. Trotz allem trägt der Baum sogar noch Blätter!
Zur Abwechselung fährt Heike jetzt mal den Roda und es ist ein deutlicher Unterschied zu spüren! Sie fährt viel zügiger und härter als Ansgar. Wo Ansgar versucht, möglichst langsam über die Bodenwellen zu fahren, ist es Heikes Taktik sozusagen von Kuppe zu Kuppe zu „fliegen“. So lange ich die Straße im Blick habe, ist das eine Art zu fahren, die durchaus Sinn macht, denn wir kommen so auf jeden Fall schneller voran.

So sind wir schon um kurz vor 16:00 Uhr zurück in Klein Dobe. Robin hatte angekündigt, daß er am Nachmittag vielleicht noch mit Slange und Kal auf die Jagd gehen wollen würde und hatte gefragt, ob Ansgar Lust hätte, mitzukommen; aber bis jetzt sind die beiden Buschmänner noch nicht von ihrem Trip nach Tsumkwe zurück... Außerdem sitzt Robin in seinem Zelt am durch Solarenergie betriebenen Laptop und arbeitet an Budgetaufstellungen für seine Geldgeber.
Also wird das Jagen wohl ausfallen...

Statt dessen wollen wir uns das ehemalige Hunter’s Camp, das nur ca. 500 m von hier entfernt ist, angucken. Dort sollen, laut Robin, noch ganz viele Elefantenschädel in der Gegend rumliegen. Als wir das Camp erreichen, kriegen wir fast einen Schreck: Zwei aus Containern gebaute Hütten stehen ca. 100 m voneinander entfernt im Busch, rund um eine der beiden Hütten sind mehrere Flächen zementiert und Wasserrohre ragen in die Luft, so daß man vermuten muß, daß es hier einmal weitere Hütten oder Zeltplätze gegeben hat. Das erschreckende aber ist der Zustand dieses Platzes: Alles sieht total verwahrlost und verlottert aus... Ich mag den Ort hier überhaupt nicht – er erinnert mich viel zu sehr an die schlimme, brutale Zeit der Elefantenjagd; ich glaube, hier haben zu viele Menschen mit schlimmen Gedanken gewohnt und gelebt und der Ort ist auch heute noch nicht davon geläutert.
 

 
Und wieder ein atemberaubender
Sonnenuntergang
Irgendwie paßt es, daß Heikes Kreislauf ausgerechnet hier schlapp macht und sie sich einige Minuten auf einen Stein setzen muß, bevor wir zurück zu Robin gehen können.

Gemeinsam kümmern wir uns um die Abendessensvorbereitungen. Es gibt Kartoffelsuppe mit Zwiebeln und Karotten und Robin hat einen Brotteig gemacht, den er jetzt in einen flachen gußeisernen Topf mit Deckel legt. Den Topf stellt er direkt auf die Glut des Feuers, den Deckel des Topfes bedeckt er ebenfalls mit glühenden Kohlen. Eine knappe Stunde später holt er ein perfektes Brot aus dem Topf!
Eine Weile sitzen wir nach dem Essen noch zusammen am Feuer, aber auch heute gehen wir noch vor 22:00 Uhr schlafen.

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